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Deutschland im Investitionsstau

Berliner Großflughafen, Stuttgart 21, Neubau von Energietrassen infolge des Ausbaus erneuerbarer Energien – die Liste großer Infrastrukturvorhaben, die in der öffentlichen Kritik stehen, ist lang. Dabei ist der Investitionsbedarf aus Sicht von Experten unbestritten. Auch in den Kommunen gibt es in vielen Bereichen wie beispielsweise Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern oder Straßen großen Investitionsbedarf, der aufgrund der angespannten Lage vieler öffentlicher Haushalte nicht gedeckt werden kann (alles pdfs zur Meldung finden Sie am Ende des Artikels).

Vor diesem Hintergrund hat das Institut für Demoskopie Allensbach in einer bevölkerungsrepräsentativen Befragung die Einstellungen der Bevölkerung zu (großen) Infrastrukturprojekten untersucht. Dabei zeigt sich: Die Mehrheit der Bevölkerung ist überzeugt, dass in Deutschland zu wenig in die Infrastruktur investiert wird. 56 Prozent der Bürger sind der Meinung, dass es Defizite bei Infrastrukturmaßnahmen gibt. Lediglich 26 Prozent sind der Auffassung, dass in den letzten Jahren ausreichend in den Bau und den Erhalt von Straßen, öffentlichen Gebäuden, Stromleitungen und andere Infrastruktur investiert wurde.

Die Bevölkerung hat eine klare Meinung, in welchen Bereichen Investitionsbedarf besteht und in welchen es eher weniger Bedarf gibt. Den größten Bedarf sieht die Bevölkerung mit 85 Prozent im Bereich von Kindergärten und Schulen. 73 Prozent halten den Bau neuer Energieversorgungsanlagen für erneuerbare Energien für erforderlich, 69 Prozent den Bau bzw. die Modernisierung von Krankenhäusern. Auch die Erneuerung und der Ausbau des Straßennetzes gilt mit 58 Prozent noch einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung als Infrastrukturbereich, in dem ein großer Investitionsbedarf besteht. 53 Prozent sind der Meinung, dass in den Bau neuer Wohnungen investiert werden sollte.

Beim Bau von Umgehungsstraßen, der Erneuerung bzw. dem Ausbau des Schienennetzes sowie des Telekommunikationsnetzes, ebenso wie beim Bau und der Erneuerung von Energietrassen, wird nur noch von knapp jedem zweiten Bürger ein Investitionsbedarf gesehen.

In Bezug auf die Infrastrukturmaßnahmen im Energiebereich ist auffallend, dass zwar die überwältigende Mehrheit den Bau von Energieversorgungsanlagen für erneuerbare Energien für erforderlich hält, aber deutlich weniger, nämlich 46 Prozent der Bevölkerung, auch den Bau und die Erneuerung von Energietrassen im Blick haben.

Im Bereich der Entsorgungsinfrastruktur sieht die Bevölkerung überwiegend keinen Bedarf für Investitionen. Zwei Drittel sind überzeugt, dass nicht in den Bau neuer Müllentsorgungsanlagen investiert werden muss, genauso viele halten den Bau neuer Kläranlagen für verzichtbar. Nur 25 Prozent bzw. 21 Prozent der Bevölkerung sind der Meinung, dass es hier einen Baubedarf gibt.

Auch für den Bau konventioneller Kraftwerke sieht die Mehrheit der Bürger keine Notwendigkeit: Für den Bau neuer Gaskraftwerke gibt es nach Einschätzung von 65 Prozent der Bevölkerung keinen Bedarf, 81 Prozent sind hinsichtlich des Baus von Kohlekraftwerken skeptisch.

Mit Blick auf die Verkehrs- und Energieinfrastruktur herrscht in der Bevölkerung häufig der Eindruck vor, dass die Pflege und Reparatur der bestehenden Infrastruktur ausreicht, größere Maßnahmen dagegen nicht erforderlich sind. So geht in Bezug auf die Verkehrsinfrastruktur nur gut ein Drittel der Bürger davon aus, dass größere Maßnahmen zur Verbesserung und zum Ausbau notwendig sind. 59 Prozent haben den Eindruck, dass man sich in erster Linie darauf beschränken kann, die bestehende Infrastruktur zu pflegen und Reparaturen durchzuführen.

Und auch im Bereich der Energieversorgung werden die Herausforderungen für die Infrastruktur häufig unterschätzt. Weniger als jedem zweiten Bürger (46 Prozent) ist bewusst, dass für das Gelingen der Energiewende größere Maßnahmen, insbesondere beim Ausbau von Hochspannungstrassen, erforderlich sind.

Diese Einschätzung lässt sich nicht zuletzt darauf zurückführen, dass die große Mehrheit der Bürger den derzeitigen Zustand der Infrastruktur in beiden Bereichen positiv bewertet. Die Infrastruktur im Bereich Verkehr halten 57 Prozent für gut oder sehr gut. Der Energieinfrastruktur stellen 60 Prozent ein (sehr) gutes Zeugnis aus. Nur eine Minderheit schätzt den Zustand der jeweiligen Infrastruktur als schlecht ein. Für die Verkehrsinfrastruktur liegt der Anteil derjenigen, die diese als schlecht oder sehr schlecht bewerten, bei 39 Prozent. Bei der Energieinfrastruktur ziehen lediglich 26 Prozent der Bürger ein negatives Fazit.

Viele Großbauprojekte haben nach der grundsätzlichen Investitionsentscheidung und dem Baubeginn mit Problemen zu kämpfen. Die Probleme sind dabei nach Einschätzung der Bürger auf eine Reihe von Gründen zurückzuführen. Das größte Problem bei großen Bauvorhaben ist in den Augen der Bevölkerung die schlechte Planung, gefolgt von langen Genehmigungsverfahren und einer einseitigen Preisorientierung bei der Auftragsvergabe. Dass beim Bau selbst nicht sauber gearbeitet wird, zählen 54 Prozent zu den größten Problemen.

Vergleichsweise nachrangig stufen die Bürger mit 46 Prozent die geringe Planbarkeit des Projektverlaufs ein, dass man also viele Schwierigkeiten, die beim Bau auftreten, nicht vorhersehen konnte. Und auch Bürgerproteste zählen nur für 44 Prozent zu den größten Erschwernissen von Großbauprojekten. Am seltensten wird als Problem genannt, dass Baufirmen bei der Ausschreibung nicht miteinbezogen werden und dadurch Sachverstand fehlt.

Mit 60 Prozent ist die Mehrheit der Bevölkerung denn auch davon überzeugt, dass Planungsverfahren in Deutschland eher länger dauern als in anderen Industrieländern. Nur vier Prozent glauben, dass Deutschland bei der Planung und Genehmigung großer Bauprojekte eher schneller ist als vergleichbare Länder, 13 Prozent vermuten keinen großen Unterschied zu anderen Ländern.

Planungsverfahren von zehn bis zwanzig Jahren sind bei großen Bauvorhaben keine Seltenheit.  Ginge es nach den Idealvorstellungen der Mehrheit der Bürger, wären allerdings Planungsverfahren von maximal fünf Jahren an der Tagesordnung. 39 Prozent halten zwei Jahre und weniger für angemessen, um Bauprojekte wie Stuttgart 21 oder den Berliner Flughafen zu planen; weitere 20 Prozent setzen zwei bis drei Jahre an, zwölf Prozent drei bis fünf Jahre. In der Einschätzung der angemessenen Dauer von Planungsverfahren gibt es kaum Unterschiede zwischen den Bildungsschichten. Personen mit einfacher Schulbildung gehen ebenso wie Personen mit hoher Schulbildung davon aus, dass Planung und Genehmigung selbst für Großprojekte in vergleichsweise kurzer Zeit abgeschlossen werden können.

Insgesamt wurden für die Studie 1.500 Personen ab 16 Jahre befragt. Di Befragung fand im Frühjahr 2013 statt.


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vg 14.10.2013