ANZEIGE

ANZEIGE

Andrea Geißlitz ist Director Business Development bei Kantar Insights und in Deutschland unter anderem für das Thema Nachhaltigkeit und die globale Studie Sustainability Sector Index zuständig - Quelle: Kantar

Andrea Geißlitz ist Director Business Development bei Kantar Insights und in Deutschland unter anderem für das Thema Nachhaltigkeit und die globale Studie Sustainability Sector Index zuständig - Quelle: Kantar

Sustainability Sector Index

"Wer den Zeitgeist nicht erkennt, geht das Risiko ein, Kund:innen zu verlieren"

Wieso gelingt es vielen Bundesbürgern nicht, ihre Vorsätze bezüglich eines nachhaltigeren Konsums in die Tat umzusetzen? Bremsen die steigenden Lebenshaltungskosten den Trend zu mehr Nachhaltigkeit aus? Über diese und weitere Fragen sprach markenartikel-magazin.de mit Andrea Geißlitz, Director Business Development bei Kantar Insights und in Deutschland unter anderem für globale Studie Sustainability Sector Index zuständig.

markenartikel: Die Studie Sustainability Sector Index von Kantar zeigt, dass die Mehrheit der Deutschen gerne nachhaltiger leben würde, aber nur eine Minderheit die guten Vorsätze bisher auch in Taten umsetzt.
Andrea Geißlitz: Das stimmt. Laut unserer Daten wollen 94 Prozent der Deutschen gerne nachhaltiger leben. Das Thema ist damit zweifellos in der Breite der Gesellschaft angekommen. Gegenwärtig zeigt sich allerdings noch eine große Lücke zwischen dem Wollen und Tun, die wir in unserer Studie als Value-Action-Gap bezeichnen. So geben beispielsweise 44 Prozent der Befragten an, mehr regionale Produkte kaufen zu wollen, nur 14 Prozent setzen diesen Vorsatz aber in die Tat um.

markenartikel: Woran liegt das?
Geißlitz: Diese Diskrepanz lässt sich auf eine Reihe von Gründen zurückführen: Zum einen sind nachhaltige Produkte häufig teurer, zum anderen ist Konsument:innen oft nicht klar, welche Produkte tatsächlich nach ökologischen und sozialen Standards hergestellt wurden und wo vielleicht nur Greenwashing vorliegt. Hinzu kommen Gewohnheiten und Bequemlichkeit, was dazu führt, dass viele Menschen trotz positiver Intention letztlich doch so einkaufen, wie sie es immer schon getan haben.

markenartikel: Wie hat sich der Einfluss von Nachhaltigkeitsaspekten auf die Kaufentscheidungen denn generell in den vergangenen Jahren entwickelt?
Geißlitz: Wir können festhalten, dass Nachhaltigkeit für Kaufentscheidungen eine immer wichtigere Rolle spielt. Ein gewisser Anteil jüngerer und häufig gut situierter Menschen, die wir 'Actives' nennen, setzt sich schon länger mit dem Thema auseinander und verhält sich bereits seit einiger Zeit deutlich nachhaltiger. Demgegenüber gibt es eine breite Mitte der Gesellschaft, in der Studie 'Consideres' und 'Believers' genannt, die sich gerne nachhaltiger verhalten würden, aufgrund der oben angeführten Gründe aber noch nicht entsprechend handeln. Dieser Mittelbau ist im Vergleich zum Vorjahr von 51 auf 61 Prozent gewachsen, was die gesteigerte Bedeutung des Themas unterstreicht. Nachhaltigkeit ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen!

markenartikel: 37 Prozent der Deutschen meiden bereits bestimmte Produkte oder Marken wegen deren negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft. Das sollte Marken zu denken geben, oder?
Geißlitz: Auf jeden Fall. Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich dieser Anteil wieder verringert, sondern er wird tendenziell weiter anwachsen. Vor allem die Jüngeren erwarten von Marken, dass sie Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft übernehmen und strafen Marken ab, die nicht ihre Werte widerspiegeln. Unternehmen, die heute erfolgreich wirtschaften wollen, müssen den gestiegenen Anforderungen an eine nachhaltige Ausrichtung gerecht werden. Wer den Zeitgeist nicht erkennt, geht das Risiko ein, Kund:innen an verantwortungsvollere Konkurrenten zu verlieren.

markenartikel: Fast 80 Prozent der Befragten sehen die Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit in der Pflicht. Welche Unternehmen sind Ihrer Meinung nach hier bereits Vorreiter?
Geißlitz: Exemplarisch lassen sich hier Frosch, die Rügenwalder Mühle oder auch die DKB Bank anführen. Frosch hat sich einer Kreislaufwirtschaft verschrieben und keine Produkte mehr im Portfolio, die den entsprechenden Anforderungen nicht gerecht werden. Dazu nimmt das Unternehmen seine Mitarbeiter:innen gezielt mit und kommuniziert sehr transparent seine Nachhaltigkeitsstrategie. Die Rügenwalder Mühle bietet bereits eine ganze Reihe von Fleischersatzprodukten an, zugleich hat der Konzern aber auch seine Fleischproduktion auf nachhaltige Standards umgestellt. Außerdem baut man mittlerweile das pflanzliche Protein für die Fleischalternativen zu großen Teilen in Deutschland an und vermeidet damit lange Transportwege. Die DKB bietet als Finanzdienstleister nicht nur ESG-Fonds (Environment, Social, Governance – Anm. d. Red.) an, sondern achtet auch bei eigenen Geschäftstätigkeiten genau auf die Einhaltung ökologischer Anforderungen.

markenartikel: Schnell stehen allerdings Greenwashing-Vorwürfe im Raum. Was raten Sie Marken, wie sie ihr Engagement kommunizieren sollten?
Geißlitz: Tatsächlich befürchten 56 Prozent der Deutschen, dass sich Marken nur aus kommerziellen Gründen in sozialen und ökologischen Fragen engagieren. Nur 22 Prozent haben noch nie falsche oder irreführende Informationen über nachhaltige Maßnahmen von Unternehmen gesehen oder gehört. Vor diesem Hintergrund müssen Marken in der Kommunikation vor allem auf Ehrlichkeit und Transparenz setzen. Im Zweifelsfall bedeutet das, eher über Erreichtes zu sprechen als über Absichten. Außerdem empfehlen wir Marken, 'Kleingedrucktes' zu vermeiden. Noch zu häufig findet man auf Verpackungen beispielsweise eine Aufschrift wie 'Mit Recycling-Anteil' mit Sternchen, wobei dann irgendwo klein erklärt wird, wie groß bzw. gering der Recycling-Anteil ist.

markenartikel: Interessant ist, dass Deutschland laut der Studie im internationalen Vergleich auf den hinteren Rängen liegt, wenn es um die Frage geht, inwieweit das Engagement einer Marke in Umwelt- und Sozialfragen Einfluss auf die Kaufentscheidungen hat. Welche Gründe sehen Sie dafür?
Geißlitz: Das ist in der Tat so. Wir sehen ein ähnliches Bild auch in anderen Studien, wenn es beispielsweise darum geht, wie sehr von Unternehmen erwartet wird, sich für soziale Projekte einzusetzen. Das hat unseres Erachtens damit zu tun, dass der Sozialstaat in Deutschland traditionell sehr stark ist und die Erwartungen der Deutschen an Unternehmen deshalb nicht ganz so groß sind. Aber auch hier sehen wir Veränderungen: Je jünger die Menschen, desto wichtiger ist ihnen das Engagement von Marken in Umwelt- und Sozialfragen.

markenartikel: Inwieweit beeinflusst nun die Inflation das Thema nachhaltiger Konsum?
Geißlitz: Nachhaltigkeit verliert durch die Inflation in keinem Fall an Bedeutung. Wir sehen hier mehrere Trends: In der Tat erwarten viele Deutsche, dass sie sich künftig einschränken müssen. So gehen 83 Prozent davon aus, dass sie durch die Inflation reale Einkommensverluste haben werden. Eine Strategie, darauf zu reagieren, ist, auf günstigere Angebote und Produkte auszuweichen. Da nachhaltige Produkte häufig einen höheren Preispunkt haben, führt das auch dazu, dass konventionell Produziertes wieder stärker nachgefragt wird. Ein anderer Ansatz ist Konsumverzicht. Dieser ist aber häufig als solcher nachhaltig, beispielsweise wenn Dinge repariert statt neu gekauft werden oder wenn mit dem Fahrrad statt mit dem Auto gefahren wird. Zugleich werden jedoch auch nachhaltige Investitionen attraktiv: Das E-Bike statt dem alten Drahtesel für den Weg in die Arbeit, die Wärmepumpe statt den dicken Socken und der Jacke in der Wohnung.

markenartikel: Welche Entwicklung erwarten Sie hier?
Geißlitz: Um Nachhaltigkeit auch unter erschwerten Bedingungen voranzubringen, müssen nachhaltige Produkte massenmarktfähig werden und raus aus der Premium-Nische. Das ist etwas, was die Kund*innen von Unternehmen erwarten, denn sie wollen sich nachhaltig verhalten. Nachhaltigkeit ist also der Differenzierungsfaktor in einer Zeit der Unsicherheit und der Besinnung auf das Wesentliche.

zurück

vg 07.11.2022