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Kaufkompetenz

Kleine Käufer – große Marken

Quelle: Christian Schwier/Fotolia

Quelle: Christian Schwier/Fotolia

Müssen Kinder vor dem Marketing geschützt werden? Hanna Schramm-Klein (Professorin für Marketing und Handel an der Universität Siegen), Theresia Mennekes (Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Marketing und Handel an der Universität Siegen) und Gunnar Mau (Professor für Konsumpsychologie an der DHGS Deutsche Hochschule für Gesundheit und Sport) präsentieren dazu in ihrem Gastbeitrag Ergebnisse einer computerbasierten Supermarktsimulationsstudie:

Früher als man denkt, beginnen Kinder, eigene Kaufentscheidungen zu treffen: Spätestens als Schulkind kaufen sie zum Beispiel aktiv Lebensmittel, Schulsachen oder Kleidung, meist alles noch im Umfang ihres Taschengeldes. Noch deutlich früher, schon ab den ersten Lebensjahren, beeinflussen sie sogar unerwartet große, teure Kaufentscheidungen ihrer Eltern oder der Familie: Ob Urlaub, Couch oder Auto – schon kleine Kinder machen ihre Meinung (manchmal schreiend, manchmal quengelnd) deutlich und haben so erwiesenermaßen Einfluss auf die finale Entscheidung der Erwachsenen.

Dieser Einfluss trifft auf Kinder, die noch nicht voll entwickelte kognitive Fähigkeiten besitzen und mit Marktmechanismen wenig vertraut sind: Was Werbung ist, wo Geld herkommt und welche Bedeutung eine Marke hat, muss erst erlernt werden. Dabei müssen Kinder unterstützt werden. In diesem Zusammenhang spielen auch Marken eine wichtige Rolle: Sie sind für Kinder von großer Bedeutung und sind in ihrer Lebenswelt wichtige Werkzeuge: Kinder können Marken nutzen, um sich auszudrücken, um Zugehörigkeit zu ihren Peers zu signalisieren oder ihren individuellen Stil und Vorlieben zu unterstreichen. Außerdem nutzen sie Marken als Eintrittstor in eine Phantasiewelt: Der Disney-Frozen-Joghurt ist eben nicht nur ein Dessert, das den Namen Elsa trägt, sondern eine Möglichkeit, in die Welt der Eiskönigin einzutauchen. Aber Marken können Kinder auch unter Druck setzen, insbesondere wenn sie Wünsche nach bestimmten Produkten entwickeln, die möglicherweise aus finanziellen Gründen nicht realisierbar sind.

Integration von Kindern in Kaufentscheidungsprozesse

In der aktuellen Diskussion steht dabei oft die Frage im Raum, ob Kinder durch Verbote von den Verlockungen durch Konsum und Marken ferngehalten werden sollten – oder ob es besser sei, sie bereits frühzeitig mit Marketingthemen zu konfrontieren, um kompetentes Verhalten zu forcieren. Unsere und die Forschung vieler Kollegen deutet an, dass die Integration von Kindern in Kaufentscheidungsprozesse, beispielsweise beim Familieneinkauf, und die Förderung offener Kommunikation innerhalb der Familie wesentliche Elemente sind, um Kinder zu eigenverantwortlichen und kompetenten Konsumenten zu formen. Sie können so das Verhalten ihrer Eltern beobachten und gemeinsame Erfahrungen sammeln. Zudem stärkt die Förderung von Autonomie die Fähigkeit der Kinder, eigene Kauf- und Konsumentscheidungen zu treffen. Ein praktisches Beispiel hierfür ist die Unterstützung der finanziellen Selbständigkeit von Kindern, etwa indem Eltern sie eigene Budgets erstellen und verwalten lassen.

Verbote können da weiterhelfen, wo Kinder die Reflektion und Einsichtsfähigkeit fehlt. Weil diese aber oft durch die Kinder selbst oder die Anbieter umgangen werden können, ist der Weg über die Kompetenzsteigerung in vielen Fällen der bessere.

Kaufkompetenz von Kindern

Empirische Untermauerung bekommt diese Perspektive zum Beispiel durch die Ergebnisse unseres Forschungsprojekts 'Kaufkompetenz von Kindern'. In einer Studienreihe an der Universität Siegen, der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport sowie der Goethe-Universität Frankfurt erforschten wir das Verhalten von acht- bis zehnjährigen Schulkindern bei Kaufentscheidungen und ihre Entwicklung zu kompetenten Konsumenten.

In einer ersten Studie haben wir untersucht, wie Eltern und Geschwister durch ihre Einkaufsgewohnheiten, Gespräche der Eltern mit den Kindern übers Einkaufen, Produkte und Marken sowie durch die Einbeziehung der Kinder in Kaufentscheidungen deren Kaufkompetenz beeinflussen. Durch die Befragung und Beobachtung von 514 Grundschulkindern in einem computersimulierten Supermarkt wurden verschiedene Aspekte ihrer Kaufkompetenz und des Kaufverhaltens untersucht. Aufgabe der Kinder war es, einen vorgegebenen Einkaufszettel möglichst präzise einzukaufen.

Die Ergebnisse zeigen interessante Zusammenhänge: Längere Wege im virtuellen Supermarkt führen zu mehr Impulskäufen, aber auch zu einer effektiveren Abdeckung des Einkaufszettels. Eine längere Verweildauer im virtuellen Supermarkt führte ebenfalls zu weniger vergessenen Produkten. Kinder, die zuhause mehr Selbstbestimmung erfahren, kaufen weniger impulsiv ein. Das alles hebt die Bedeutung der familiären Einbindung und der Förderung von Autonomie und finanzieller Planungskompetenz bei Kindern hervor. Die Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen und an familiären Einkaufsprozessen teilzunehmen, ist ein entscheidender Faktor für die Entwicklung ihrer Kaufkompetenz. Zudem konnte die Rolle der finanziellen Planungskompetenzen herausgestellt – also wie die Fähigkeit der Kinder, Budgets zu verwalten und über Ausgaben zu entscheiden, ihre Kaufentscheidungen beeinflusst.

Familiäre Kommunikation spielt zentrale Rolle

Daneben interessierte uns der Einfluss der Werbung auf die Kinder. In einer zweiten Studie analysierten wir deshalb bei 116 Grundschülern, wie Markenbewusstsein, familiäre Kommunikation und Selbstbestimmung die Kompetenz von Kindern beeinflussen. Auch hier wurden die Kinder in einer computerbasierten Einkaufssimulation beobachtet und in Einzelinterviews befragt. Markenbewusstsein allein trägt demnach nicht direkt zur Förderung von Kaufkompetenz bei, sondern wird erst mit familiärer Kommunikation wirksam. Vor allem Kinder, die eine höhere Selbstbestimmung in Kaufentscheidungen erleben, zeigen ein besseres Verständnis für Werbeabsichten. Wiederum zeigte sich die Relevanz der familiären Kommunikation und Selbstbestimmung für die Entwicklung einer konstruktiv-kritischen Haltung gegenüber Werbung.

Die familiäre Kommunikation spielt also eine zentrale Rolle in der Vermittlung zwischen Werbe- und Markenbewusstsein und Kaufkompetenz. Gespräche innerhalb der Familie über Marken und Einkaufsentscheidungen ermöglichten es den Kindern, ein tieferes Verständnis für Marken und deren Bedeutung zu entwickeln. Ein überraschendes Ergebnis der Studie war der negative Einfluss des Markenverständnis auf die familiäre Kommunikation: Ein starkes Markenbewusstsein führt nicht notwendigerweise zu positiven Gesprächen über Marken in der Familie, sondern kann auch mit Konflikten einhergehen kann, die sich aus besonderen Markenwünschen der Kinder ergeben können. Dennoch hat sich gezeigt, dass die familiäre Kommunikation positiven Einfluss auf die Kaufkompetenz nimmt und somit als ein wichtiger Vermittler zwischen Markenverständnis und Kaufkompetenz fungiert.

Verbote könnten Entwicklung der Kaufkompetenz behindern

Besonders deutlich wurde in beiden Studien, dass Kinder stark davon profizieren, wenn ihnen Selbstbestimmung ermöglicht wird, denn diese ermöglicht es ihnen, ein höheres Verständnis für Werbeabsichten und Marken auszubilden. Kinder lernen, Optionen zu bewerten und selbst zu entscheiden, was sie kaufen möchten. Sie entwickeln ein Verständnis für den Wert des Geldes durch das Verwalten eigener Budgets und das Treffen von Ausgabenentscheidungen. Zudem erwerben sie die Fähigkeit, Werbebotschaften und Marken kritisch zu hinterfragen und autonom zu entscheiden, was ihr Selbstvertrauen und ihre Unabhängigkeit in Entscheidungsprozessen stärkt. Diese Aspekte tragen maßgeblich dazu bei, dass Kinder zu informierten und verantwortungsbewussten Konsumenten heranwachsen. Teilhabe an Konsum- und Kaufprozessen trägt also wesentlich dabei, dass Kinder Kaufkompetenz frühzeitig entwickeln können. Verbote oder die Tendenz, Kinder ganz vor dem Konsum und dem Einkauf 'schützen' zu wollen, könnten Kindern diese Entwicklungschance verwehren.

Trotzdem zeigen auch unsere Ergebnisse, dass Kinder anfällig für Beeinflussungen durch Werbung sind. Wird ihre Fähigkeit aber gesteigert, Werbebotschaften kritisch zu hinterfragen, steigt auch bei Kindern ein verantwortungsvoller und reifer Umgang mit Werbebotschaften. Vor allem angesichts der zunehmenden Medienexposition von Kindern ist es deshalb wichtig, ihre Fähigkeit zur kritischen Bewertung von Werbebotschaften in unterschiedlichen Kontexten, vor allem auch in digitalen Medien, zu stärken. Dazu gehört auch, dass Hersteller und Händler ihre soziale und ethische Verantwortung wahrnehmen, nicht nur durch die Entwicklung zielgruppengerechter Produkte, sondern auch die Schaffung einer Kommunikationsumgebung, die positive Werte vermitteln und das Wohlergehen von Kindern berücksichtigen. So ein verantwortungsbewusstes Handeln aller Beteiligten stellt langfristig sowohl für die Unternehmen als auch für die Gesellschaft eine Win-Win-Situation dar.

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vg 09.02.2024