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Dr. Julia Schneider ist Partnerin der Kanzlei Menold Bezler und spezialisiert auf gewerblichen Rechtsschutz - Quelle: Menold Bezler

Dr. Julia Schneider ist Partnerin der Kanzlei Menold Bezler und spezialisiert auf gewerblichen Rechtsschutz - Quelle: Menold Bezler

BGH-Urteil

Verbot von Mogelpackungen gilt auch im Online-Handel

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich aktuell mit dem Thema 'Mogelpackungen' zu befassen. Das Urteil fiel eindeutig aus: Auch im Online-Vertrieb darf eine Verpackung nicht mehr Inhalt suggerieren als wirklich enthalten ist (Urteil vom 29. Mai 2024 - Az. I ZR 43/23). Dr. Julia Schneider, Partnerin der Kanzlei Menold Bezler und spezialisiert auf gewerblichen Rechtsschutz, erklärt in ihrem Gastbeitrag für markenartikel-magazin.de, was die Entscheidung für die Praxis bedeutet:

 

Dem für das Wettbewerbsrecht zuständigen 1. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs lag eine Klage eines Verbraucherschutzvereins zu folgendem Fall vor: Ein Kosmetikhersteller hatte auf seiner Webseite ein Herrenwaschgel in einer auf dem Kopf stehenden 100-Milliliter-Kunststofftube beworben, die im unteren Bereich durchsichtig und im oberen Teil silbern eingefärbt war. Auf den Bildern konnte der Verbraucher den (unzutreffenden) Eindruck gewinnen, die Tube sei vollständig befüllt. Die Füllmenge der Tube reichte aber tatsächlich nur knapp über den transparenten Teil, was etwa zwei Dritteln der Tubengröße entsprach.

Die Verbraucherschützer hielten die Produktaufmachung für irreführend und verlangten Unterlassung. Der Hersteller verteidigte sich mit dem Argument, der Verbraucher nehme die Grenze zwischen dem silbernen und transparenten Bereich der Tube durchaus als Hinweis auf die Füllhöhe wahr. Vor allem aber mache sich der Verbraucher gerade beim Kauf von Kosmetikprodukten über Online-Shops über das spezifische Verhältnis von Verpackungsgröße und Füllmenge – die im vorliegenden Fall unstreitig korrekt war – keine besonderen Vorstellungen. Relevant sei für ihn vielmehr, dass er den Inhalt bekomme, den das Produkt angegeben habe.  Ansonsten wären alle Verpackungen irreführend, die mehr Verpackungsmaterialien benötigten als unbedingt notwendig.

Unterscheidung zwischen einem Kauf im Laden und über das Internet

Das Landgericht und das Oberlandesgericht Düsseldorf wiesen die Klage der Verbraucherschützer ab. Die Verpackung täusche zwar dann unzulässigerweise eine größere Füllmenge als vorhanden vor, wenn der Verbraucher sie im Laden in Originalgröße wahrnehme, so das OLG. Bei einem Online-Kauf fehle es allerdings sowohl an der "Spürbarkeit" im Sinne des Messgesetzes als auch an der Irreführung nach dem Wettbewerbsgesetz. Die konkrete Größe der Verpackung und den Hohlraum nehme der Verbraucher zum Zeitpunkt des Online-Kaufs nämlich gar nicht wahr.

Den Bundesgerichtshof überzeugte die Unterscheidung zwischen einem Kauf im Laden und Online zu Recht nicht. Er kippte das Berufungsurteil und anstelle der üblichen Rückverweisung an das Berufungsgericht entschied er sogleich selbst. Schutzzweck des Messgesetzes sei es, Verbraucher vor "Fehlannahmen über die relative Füllmenge einer Fertigpackung" – sprich Mogelpackungen – zu schützen und zwar unabhängig vom Vertriebsweg. Eine wettbewerbsrechtlich relevante Irreführung über die relative Füllmenge einer Fertigpackung liege unabhängig von dem konkret beanstandeten Werbemedium dann vor, wenn die Verpackung eines Produkts nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge stehe. Das sei hier der Fall, da die Waschgel-Tube nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt sei.

Auf die einzelnen Voraussetzungen der speziellen Regelungen des Mess- und Eichgesetzes, insbesondere, ob dieses auch im Online-Handel Anwendung findet, kam es aus Sicht des BGH vorliegend nicht weiter an. Denn aufgrund der vollharmonisierenden Wirkung der europäischen Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken hatte die Beurteilung, ob im konkreten Fall eine Irreführung vorliege, allein nach dem deutschen Gesetz über den unlauteren Wettbewerb (UWG) zu erfolgen.

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Verdeckte Preiserhöhungen durch Shrinkflation rechtlich kaum zu beanstanden

Mit dem aktuellen Urteil ist klargestellt, dass Produktverpackungen nicht beliebig großzügiger bemessen sein dürfen, als dies bezogen auf die Füllmenge technisch notwendig ist und eine Irreführung des Verbrauchers ausschließt. Eine Abweichung von zwei Dritteln sehen die Gerichte gemeinhin als unzulässig an. Darüber hinausgehende gesetzliche Regelungen zu einem möglichen Missverhältnis von Produktverpackung und Füllmenge gibt es in Deutschland allerdings bislang nicht. Dies führt dazu, dass jenseits der 'Mogelpackungen' verdeckte Preiserhöhungen, bei denen Hersteller die Inhaltsmengen ihrer Produkte bei gleichbleibendem Preis verringern ('Shrinkflation'), rechtlich kaum zu beanstanden sind.

Frankreich verpflichtet Händler, Änderungen der Portionsgrößen kenntlich zu machen

In Frankreich versucht man, diesem Phänomen auf gesetzgeberischer Ebene zu begegnen. Hier tritt am 1. Juli dieses Jahres ein Gesetz in Kraft, wonach Händler verpflichtet sind, Änderungen der Portionsgrößen bei gleichbleibender Verpackung deutlich sichtbar bei den jeweiligen Produkten kenntlich zu machen. Ob diese Maßnahme dem Effekt der Shrinkflation wirksam begegnen kann, bleibt abzuwarten. Zum einen wird die Verantwortlichkeit weg von den Herstellern auf die Händler verschoben, die nunmehr Veränderungen der Portionsgrößen zu überwachen und zu kennzeichnen haben. Zum anderen stellen sich Folgefragen nach der Dauer und dem Umfang der Kennzeichnungspflicht.

Wünschenswert wäre daher – auch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten – eine klare gesetzliche Regelung zur Mindestfüllmenge von Verpackungen, beispielsweise drei Viertel, sowie eine Kennzeichnungspflicht auf dem Produkt selbst für die Fälle, in denen diese Menge unterschritten wird. Dies hätte auch den Vorteil, dass Verbraucher zu Hause genau nachlesen können, wieviel in dem Produkt enthalten ist.

Hoffung auf mehr Klarheit

Immerhin ist durch das 'Non' Frankreichs zu Mogelpackungen und das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofs insgesamt Bewegung ins Spiel gekommen, sodass Hersteller wie auch Verbraucher auf mehr Klarheit hoffen können. Bis dahin sollten Hersteller jedenfalls nicht an die Zwei-Drittel-Grenze bei der Portionierung ihrer Produkte stoßen und Verbraucher den jeweiligen Grundpreis – in der Regel den Kilogrammpreis – der Produkte miteinander vergleichen.

 

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vg 06.06.2024